Seit 1998 findet alljährlich die bremische Stadtmeisterschaft statt. Der maritime Traditionssport Kutterpullen hat in unserer Hansestadt eine große Anhängerschaft. Es gibt über ein dutzend Teams mit Frauen, Männern oder gemischt.
Seit 2021 starten die Rennen jeweils auf Höhe der DGzRS – das hat auch etwas Symbolisches: Zu früheren Zeiten setzten die Seenotretter selber noch ähnlich anmutende Kutter ein, um von Land aus zur Hilfe zu eilen. Die Kutter haben an Nord- und Ostsee eine lange Tradition, kamen auch und vor allem bei grossen (Segel-) Schiffen zum Einsatz, sei es als Rettungsboote oder um vom Ankerplatz in den Barkassen an Land zu kommen, ähnlich, wie es viele Helgoland-Besucher erlebt haben, wenn sie mit den Bördebooten die letzten Meter auf die Insel machten.
Die ersten Rennen in der Hansestadt liefen noch im Rahmen der Breminale, als die aber 2000 aus Kostengründen auszufallen drohte, entschied sich Lok Pusdorf kurzerhand, die Rennen unabhängig auf eigene Faust zu organisieren – und seitdem wird jedes Jahr das Meisterteam gekürt; selbst in Corona-Zeiten konnte Dank eines Schutzkonzeptes gerudert werden – und so kam es, dass das Kutter-Race 2020 die einzige große Sportveranstaltung des Jahres war.
Anders als andere große Sportveranstaltungen kommen die Bremer Stadtmeisterschaften inzwischen gänzlich ohne Sponsoring und staatliche Zuschüsse aus. So wie Lok Pusdorf auch nach 30 Jahren seines Bestehens immer noch als reine Rudergemeinschaft besteht; kein Verein, kein Chef, so ist die ganze Meisterschaft locker organisiert. Weil über die Kutterboote hinaus über die Jahre Freundschaften und enge Verbindungen entstanden, kann die Bremer Kutterpuller-Szene diesen großen Event bestreiten. So stellen etwa die Vegesacker das Schiedsrichterboot und sie fahren auf der Weser am Wettkampftag ihre drei Rennkutter vom Bremer Norden in die Innenstadt und wieder zurück. Eine treibende Figur bei der Initiierung der Stadtmeisterschaft, der 2020 verstorbene Harro Rache von Lok Pusdorf, holte auch die Unparteiischen aus Rotenburg/Wümme ins Boot. Seit dem Umzug des Rennens auf Höhe DGzRS stellt Bremen Ports dankenswerter Weise die Start-Pontons zur Verfügung.
Die Bremer Kutterpuller sind nicht nur auf der Weser ein echter Hingucker, sie vertreten den Bremer Sport auch inter- und national. Die DFL ließ jüngst gar ihren Werbefilm zum Saisonstart von Werder Bremen mit den Lok Pusdorfern als Hauptdarsteller drehen. Zu sehen im TV oder unter lok-pusdorf.de. Unter Bremer Flagge ruderte Lok Pusdorf in Rotterdam oder beim Grachtenrace in Amsterdam, aber auch bei zahlreichen Rennen in Ostdeutschland, wo das Kutterpullen in der DDR eine eigene Entwicklung nahm; so wird im Osten nur der “ZK10” gerudert, im Westen das Modell “Marinekutter”. Ob in Warnemünde, Elsfleth, Leer/Dollart, Ketzin, Rheinsberg oder in Stettin/POL, die Kutterpuller sind schon ziemlich umher gerudert. Zuletzt gewann das Team “Horizont” 2022 das Rennen im Rahmen der Kieler Woche, der Hochburg des Kutterpullens mit 130jähriger Tradition.
Der Historiker Jean Jaurès sagte mal: “Tradition ist die Bewahrung des Feuers und nicht die Anbetung der Asche.” Ganz in diesem Sinne entwickelte Lok Pusdorf auch die Stadtmeisterschaft: Heute gibt es ein Sackhüpfen um die Startplätze der 2. Runde, dann werden per Ereigniskarten etwa Starts im Stehen statt im Sitzen ausgelost und andere spaßige Aktionen. Nicht zuletzt dank der Freude am gemeinsamen Rudern im großen Boot, feiert Lok Pusdorf 2022 bereits ihr 30Jähriges. Und während die Seenotretter heute mit modernen Schiffen Hilfe leisten, bewahren die Kutterpuller locker das Feuer der Kutter-Tradition.
Rainer Becker